...hingerissen von den Frauen dieses Landes

Reisebericht zur Bauweltreise nach Teheran und Iran (1)

von Gertrude Helm


gertrude helm bauweltreise 1 Nach vielen Aufregungen und Zweifeln über Monate folgte tatsächlich vom 29. April bis 8. Mai 2006 eine Gruppe dem Angebot der Bauwelt, eine Reise in den Iran zu wagen. Die Gruppe, 6 Männer und 2 Frauen, wurde von Abbas Shirazi geführt, der mit seiner Frau Christina Thum maßgeblich die Stadtbauwelt über Teheran vom September 2005  geprägt hat. Wie immer nach solchen Reisen in auf- und anregende Gegenden der Erde schaute ich noch gebannter als während der Vorbereitung die Nachrichten. Ich las den Spiegel mit dem Ahmadinedschad-Titel. Es werden immer dieselben Bilder präsentiert: Bewaffnete, organisierte Menschen, Gewehre schüttelnd. Oft sieht man auf den Fotos etwas Brennendes. Gezeigt wird eine drohende Masse, deren Energie kurz vor der Explosion zu sein scheint. Gewiss wird es solche Versammlungen irgendwo und irgendwann gegeben haben - doch wir haben so etwas im Iran nie gesehen.


Meine Bilder sind anders. Ich sehe einen Garten, belebt von vielen Menschen aller Altersgruppen. Im Mittelpunkt des Gartens steht eine Art Monopteros, in dem ein Sarkophag steht. Es ist das Grab des Dichters Hafis. Rosenblüten liegen darauf, wir sind in Shiraz. Menschen berühren mit den Fingerspitzen das Grab, rezitieren die ersten Suren des Koran. Aus den Lautsprechern kommt Gesang. gertrude helm bauweltreise 2 Er wirkt nicht knarzend und drängend wie der Ruf des Muezzins. Orientalische Instrumente und die für die iranische Musik typische Geige lassen ihn leicht  melancholisch klingen. Die Vertonungen der Hafis-Gedichte breiten im Garten ihren Klangteppich aus. Es wird Tee getrunken, Picknick scheint eine iranische Erfindung zu sein. Gewiss ist das eines der idyllischsten Bilder. Doch es illustriert meinen Eindruck: Wie die Smogglocke über Teheran, so liegt die islamische Diktatur über einer Zivilgesellschaft.

 

Teheran

gertrude helm bauweltreise 3Fremd und unsicher fühle ich mich am ersten Tag in Teheran. Schnell erschöpft durch Höhe, Hitze und die islamischen Kleidungsauflagen für Frauen. Die ersten Besichtigungsobjekte sind Baustellen historischer Gebäude: eine Moschee, ein Palast. Wie angenehm ist es, eine Reise zu unternehmen, die vom eigenen Fach geprägt wird. Alles ist fremd, doch vieles wiederum vertraut. Wunderbar mit den Augen der Architektin die Gebäude jetzt zu sehen, unfertig, roh, aufgerissen. So nah werden sie den Besuchern, die sie in einem Jahr vielleicht in ihrer fertig gestellten Pracht sehen werden, nicht kommen können. Dank der Kontakte von Abbas Shirazi dürfen wir mit dem bauleitenden Denkmalpfleger Faramarz Parsi über die Dächer und Kuppeln der Sepahsalar-Moschee klettern. Wir studieren dabei das zerstörende Wirken von Frost und Hitze und begreifen gleichzeitig etwas übergertrude helm bauweltreise 4 die Materialien und Techniken. Einen zusätzlichen Thrill verschafft uns beiden Frauen der verordnete Tschador.

Was fällt auf? Außer den Abgasen stinkt Teheran eigentlich nicht. Hier steigen keine Gerüche von Verwesung organischer Materie in die Nase wie in den Städten Marokkos oder in Kairo. Das Bezauberndste an Teheran ist vielleicht der Blick aufs schneebedeckte Alborz-Gebirge. Die ganze Stadt steigt von Süden nach Norden stetig über 700 Meter an. Das Gebirge mit schroffen Felsen und dann den weißen, breiten Kuppen beginnt schon auf dem Stadtgebiet. So fokussiert der Blick durch die langen Straßenachsen aufs frische Weiß der Berge. Sie geben umgekehrt in Gestalt von sieben reißenden Gebirgsbächen der Stadt etwas zurück. Die Teheraner nutzen diese Wasserkraft, indem sie längs der Straßen unzählige offene Kanäle angelegt haben, gertrude helm bauweltreise 5 die mit dem eiskalten, strömenden Wasser den Unrat wegspülen und die zahllosen Alleebäume tränken. Sogar als Geldquelle lassen sich die Teheraner "Bächle" nutzen. Um von der Straße in die privaten Einfahrten zu kommen, muss man sich einer kleinen Brücke bedienen, die es in großer Zahl gibt.

Karbastschi, Teheraner Bürgermeister von 1989 bis 1998, verlangte dafür eine gebührenpflichtige Genehmigung. Logisch, dass er gerade unter den Basaris und Gewerbetreibenden damit keine Anhänger gewann. Doch mit diesem erfindungsreichen Erschließen von Geldquellen finanzierte er viele Infrastrukturprojekte: Parks, Alleen, Stadterneuerung im armen Teheraner Süden, gertrude helm bauweltreise 6das Kulturzentrum auf dem ehemaligen Schlachthof, auf das noch zurückzukommen sein wird. Wegen einer anderen Finanzquelle Karbastschis entbrannte eine heftige Diskussion unter unseren Teheraner Begleitern. Taraneh Yalda hatte als Stadtplanerin am letzten Masterplan für Teheran mitgearbeitet. Dabei hatte sie die kleinteilige, lockere Bebauungsstruktur im reichen Norden an den Hängen des Alborz-Gebirges, die Freihaltung der Bachtäler, "Grüne Finger", als für das prekäre Stadtklima Teherans wesentlich herausgearbeitet. Und was machte Karbastschi? Er sah die immer größer werdende Nachfrage im frischen Norden der Stadt zu bauen als Chance, durch saftige Ablösebeträge für Baugenehmigungen seine Wunschprojekte zu finanzieren. So bietet der Teheraner Norden heute einen chaotischen und mit willkürlich verteilten Hochhäusern wenig erfreulichen Anblick gertrude helm bauweltreise 7- von Planung kein Eindruck. Ob man das aber alles aufs Konto Karbastschis verbuchen sollte?

 

 "Den Iranern geht es gut: Sie haben so viele Parks"

Bevor er nach Teheran kam, war Karbastschi schon Bürgermeister in Isfahan gewesen. "Schau die ganze Welt Dir an, die Hälfte davon, das ist Isfahan" lautet ein persisches Sprichwort. Fantastische Moscheen, der majestätische Imam-Platz, die mittelalterlichen Steinbrücken über den breiten Strom. Das alles ist wunderbar. Besonders aber ist, wie die Stadtplanung diese Schätze nutzt zur Freude der Touristen, vor allem aber für die Isfahaner Bevölkerung. Hunderte erquicken sich am Aufenthalt auf den aufs Feinste instand gehaltenen Brücken. Über Kilometer erstrecken sich entlang des Sayande Stroms Grünanlagen, schön gestaltet und gut gepflegt. Der Vergleich mit den oft vernachlässigten Grünflächen in meiner Arbeitsstadt Aachen kommt mir in den Sinn.  Wie stolz ist Köln auf mal gerade einen knappen Kilometer frei gemachten Rheinpark. Wie mühen sich Paris und London, die Ufer ihrer Flüsse für die Naherholung zurück zu gewinnen.

gertrude helm bauweltreise 8 Mit den Uferparks in Isfahan hatte Karbastschi ein Zeichen gesetzt. Wegen dieser Erfolge nach Teheran geholt, ging er weiter. Gärtner scheint einer der häufigsten Berufe in Iran zu sein.  "Gärtner scheint einer der häufigsten Berufe in Iran zu sein, überall sieht man die Männer in grünen Anzügen, Gummistiefeln und Strohhüten, wie sie Blumen schneiden oder Rasenflächen bewässern." Das schreibt Volker Perthes in seinem sehr lesenswerten Buch "Orientalische Promenaden", dem auch das Zitat der Zwischenüberschrift entnommen ist. Intensiv kultiviert werden die prunkhaften Freiflächen entlang der Stadtautobahn. Diese Mühen  kommen mir hier aber fehl am Platz vor. Wer will sich schon in einem Autobahnareal aufhalten? 

Leider scheinen die Versuche der Stadterneurung im gertrude helm bauweltreise 9unterprivilegierten Süden Teherans ins Leere gelaufen zu sein. Doch das umgebaute Schlachthofareal mit dem ihn umgebebenden Park ist berühmt. Dort treffen wir auch auf die Zeichen der politischen Propaganda. Ein Plakat "Kernenergie ist unser unveräußerbares Recht" - als sei die Nukleartechnologie synonym mit den Menschenrechten zu setzen - begrüßt die Besucher.  Es gibt eine große Bibliothek, ein Kino, Sporthallen. In einer lernen - ohne Kopftuch, aber nur für uns Frauen zugänglich - Mädchen Karate. In einer anderen Halle malen und töpfern Kindergartenkinder zum Thema "Kernenergie ist Grün". Es ist der einzige Ort, an dem wir ordnungspolitischen Widerstand spüren. Junge, gelgestylte männliche iranische Jugendliche suchen den Kontakt zu uns. Ist die Kenntnis der englischen Sprache schon ein erster Akt der Subversion? Aufpasser beargwöhnen uns und unsere Kontakte. Sie fordern uns auf - immer noch freundlich aber mit einem ungehaltenen Unterton - unseren Besuch zu beschleunigen und keine Fotos mehr zu machen.

  

Intermezzo:

Wahrnehmungen innerhalb der Reisegruppe

gertrude helm bauweltreise 10"Alles ist relativ", besonders unsere Wahrnehmungen,würde Ulrich, der Physiker in unserer Reisegruppe sagen. Deshalb soll er hier in einem Intermezzo selbst zu Wort kommen: Worauf kommt es an, was sieht man? Worauf richtet jemand seinen Fokus? Für die einen sind es die Menschen und ihre Lebensweise. Die anderen begeistern sich an der herausragenden Architektur der zahlreichen Moscheen und Paläste, die wir auf unserer Reise besichtigen dürfen. Nicht nur die vielen Möglichkeiten ein Kuppel auf einer rechteckigen Basis zu konstruieren, läßt staunen, sondern auch die unzähligen Möglichkeiten eine Fassade zu schmücken: je nach Zeitalter wahlweise mit Reliefs, Wandbildern, Mosaiken und Kacheln. Für einige Reiseteilnehmer ergeben sich besondere Blicke in die Vergangenheit - ihre eigene. Bernhard vergleicht im Gespräch mit seinem Sohn Hendrikgertrude helm bauweltreise 11 das Teheran von heute mit dem vor 35 Jahren. Auch Walter und Robert waren schon einmal als Touristen im Iran gewesen. Ihnen ist die Geschichte des Orients wichtig, da hier die Wurzeln unserer Zivilisation liegen. Die Entwicklung des Gartens aus dem Wunsch ein Abbild des Paradieses zu schaffen, das Alphabet, die Zahlen kommen aus diesem Raum. Der Blick richtet sich auf das künstliche Felsplateau, das die Basis von Persepolis bildet. Hier haben vor 2500 Jahren die unterworfenen Völker den Achämeniden ihren Tribut gezahlt.

Heute noch kann man etwas von der demonstrierten Macht spüren. Die Iraner sind sehr stolz auf ihre Geschichte. Wenn aber aus den historischen Bezügen unserer Zivilisation eine Machtstellung in der Gegenwart hergeleitet wird, entwickelt sich politische Explosivkraft. gertrude helm bauweltreise 12

 

 Mindestens die Hälfte des Himmels

In Shiraz, der zweiten Station unserer Reise, ist es passiert. Christine und ich konnten dem ansprechenden Besichtigungsprogramm nicht mehr mit angemessener Aufmerksamkeit folgen. Wir wurden abgelenkt. Als hätte jemand auf den Auslöserknopf gedrückt, wurden wir von da an bis zum Ende unserer Reise aufsogen durch die Kontaktaufnahme von Mädchen und Frauen. Wie schwärmende Bienen kamen junge Mädchen auf uns zu. Wurde eine e-mail Adresse ausgetauscht, fanden sich sofort junge Männer, gertrude helm bauweltreise 13 die die Adresse der Mädchen abstaubten. Gegenseitige Fotoaufnahmen sollten gemacht werden, Verständigungen durch Gesten, durch englische Sprachkenntnisse hergestellt. Manchmal gab es nur Zeichen der Zuwendung, manchmal differenzierte Gespräche. Es waren nicht nur junge Mädchen, es waren Nomadinnen, Frauen aller Schichten, Frauen aller Altersgruppen. Es ging um Kontakt, um Neugier - wir bekamen eine ungeahnte Energie zu spüren. Sie vermittelten uns, dass sie anderes suchen als Macht und Krieg. Vielleicht bringt dennoch der Machtpoker  (ich hoffe, dass es wirklich Poker ist und nicht Wahnsinn) Besseres für das Land und seine Menschen.  

gertrude helm bauweltreise 14Über 60 Prozent der iranischen Studenten sind Frauen. Dazu noch einmal Volker Perthes: der hohe Frauenanteil an den Studierenden sei kein gewolltes, aber ein faktisches Ergebnis der Erziehungs- und Hochschulpolitik des Regimes. Mädchen haben im Geschäftsleben viel geringere Möglichkeiten, schnell Geld zu verdienen.  Mädchen werden behütet und in der Freizeit zu Hause gehalten, während die Brüder auf den Sportplatz gehen.Die Hochschulen wurden islamisch ausgerichtet, so dass auch konservative Eltern sich keine Sorgen um ein zu freizügiges Leben machen. Das Regime investierte viel in den Ausbau von Schulen und Universitäten, setzte die allgemeine Schulpflicht durch und verbreiterte den Zugang zu guter Ausbildung.

Ich bin hingerissen von den Frauen dieses Landes.gertrude helm bauweltreise 15 Es soll ihnen nichts passieren. Sie sollen die Kraft, die sie ausstrahlen, nutzen können. Ich habe die Vorstellung, dass sie jeden Morgen, wenn sie die islamische Kluft anlegen müssen, einen Impuls des Widerstandes bekommen.